Am 12. Mai 2025 fand auf dem Ludwigsplatz eine Kundgebung zum Tag der Pflege statt. Armin Löw von der Gewerkschaft ver.di beschreibt im folgenden Redebeitrag präzise die Problemlage und die sich abzeichnende Katastrophe.
Rede Tag der Pflege 12. Mai 2025, Darmstadt Ludwigsplatz
Armin Loew, ver.di Sekretär für das Gesundheitswesen
Ich möchte die aktuelle Situation der Pflege in einen größeren Zusammenhang stellen, damit deutlich wird, dass es mit kleinen Maßnahmen und Korrekturen nicht getan ist, nachhaltige Verbesserungen zu erreichen.
Die Situation in der Pflege ist seit Langem dramatisch. Die nächsten Jahre werden die geburtenstarken Jahrgänge pflegebedürftig und gleichzeitig kommen immer weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt und v.a. ergreifen aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen. auch nicht einen Pflegeberuf.
Es gab immer wieder Pflegenotstände, auch im letzten Jahrhundert mit Rekrutierung von indischen und koreanischen Krankenschwestern. Dann wieder Ende 80er Jahre, worauf Anfang 90er endlich sowohl die tarifliche Vergütung verbessert, als auch die Pflegepersonalbemessung PPR (bedarfsorientierte Personalbemessung 1993-97,) eingeführt wurde. Das führte damals recht schnell zu einer deutlichen Verbesserung der Personalsituation (Aufbau von 21.000 VK). Sie wurde aber nach wenigen Jahren aus Kostengründen wieder eingestellt.
Aber in den letzten 20 Jahren seit Einführung der DRGs /Fallpauschalen 2003 ist die Pflege in ein tiefes Loch gefallen und befindet sich auf dem Grund des Brunnens, wo es sehr schwer sein wird, wieder herauszukommen.
Zuvor mit dem Kostendeckungsprinzip wurde der jeweilige Bedarf finanziert, die entstandenen Kosten vollständig refinanziert.
Im DRG System wurde nun der ärztliche Dienst ausgebaut, da er für höhere Fallzahlen, über die das Geld ins Krankenhaus kommt, zuständig ist. Andere Bereiche, insb. die nachgelagerte Pflege, ist ein Kostenfaktor, den es zu reduzieren galt. Somit wurden Stellen abgebaut, auch Ausbildungsplätze. Je weniger (Pflege-) Personaleinsatz pro Fall, desto günstiger und desto größer der wirtschaftliche Effekt für das Krankenhaus. Die Krankenhäuser wurden in ein Konkurrenzsystem gesteckt, wo nur immer höhere Fallzahlen und kurze Liegezeiten eine einigermaßen auskömmliche Refinanzierung versprach.
Trotz vieler Initiativen und ver.di Kampagnenüber Jahre in den Krankenhäusern (Der Druck muss raus, Der Deckel muss weg, Mehr von uns ist besser für alle, sowie Großdemos zur Krankenhausfinanzierung und für Personalregelungen wurde dieses Problem, - wie viele andere in der Gesundheitsversorgung - nicht grundsätzlich politisch angegangen, sondern nur durch immer weitere Kostendämpfungsprogramme symptomatisch behandelt:
- Sektorale Grenzen ambulant und stationär blieben unangetastet, wo ist die Verzahnung und einheitliche Steuerung?
- oft Doppelstrukturen und Doppeluntersuchungen,
- Fehlsteuerung der Patienten in die KHs, da kein gutes, klares ambulantes Angebot – fehlende 24/7 Anlaufstellen – heute wird als innovativ gefeiert, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst sich an einzelne Ambulanzen der KHs andockt (Höchst, Klinikum DA 2024) und so eine Zuordnung nach ambulanter oder stationärer Versorgung erfolgen kann.
Es gab, wenn überhaupt nur halbherzige Ansätze!
Deutlich wurde dies mit der Pflegeuntergrenzen-Verordnung 2018:
- Die sich nicht am (Pflege-) Bedarf der PatientInnen orientiert
- Sondern eine rein statistische Erhebung darstellt, wie viel Pflegepersonal in einigen bettenführenden Bereichen in den Krankenhäusern beschäftigt ist, wurde zugrunde gelegt.
- Die Pflegeuntergrenze wurde an den 25% der schlechtesten besetzten Krankenhäusern gezogen und
- die Grenze nicht als absolutes Minimum in einer Schicht, sondern als Durchschnittswert über den Monat.
Da Jahrzehnte lang im Pflegebereich keine Perspektive erkennbar war und ist, suchte sich das überlastete Personal Nischen und individuelle Lösungen
Die wichtigsten Gründe:
akute Erschöpfung, Diskrepanz Druck und Anspruch, schlechte Führung, Leistung-Gehalt, fehlende work-life-Balance
- Ausstieg aus Beruf, (April bis Juli 2021 9000 Personen)
- sehr oft Teilzeit (2021 65% - sonst 30%!)
- Wechsel zu Leihfirmen, Med. Dienst)
- Bereich ohne Schichtdienst, ggf. OP Anästhesie mit zumindest besserer Vergütung.
Nur kurz, während der Corona Pandemie, wurde die Pflege als systemrelevant, als wichtig und unverzichtbar wahrgenommen!
Bereits 2020 legten ver.di, die DKG und der deutsche Pflegerat eine neue bedarfsorientierte PPR 2.0 (tagesaktuelle Einstufung der Patienten nach Bedarf u Aufwand) vor, die dann aber erst von Lauterbach 2023 und stark verwässert, als zahnloser Tiger, nun noch unfertig anläuft und erst ab 2027 mit der konkreten Umsetzungsphase begonnen wird.
Es gilt die Folgen von zwei Jahrzehnten verfehlter Gesundheitspolitik zu korrigieren
Allerdings legt die Politik zur Zeit den Augenmerk auf die Krankenhausreform (wieder nur Kostenreduzierung) mit Reduzierung von Klinikstandorten, Konzentration von Leistungen auf große Kliniken, Zuweisung von Leistungsgruppen (wer darf noch was anbieten – evt. nur noch 1x in Hessen!!). Es werden nun auch fallunabhängige Vorhaltekosten refinanziert, aber 40% -fast die Hälfte - verbleiben doch in der DRG Systematik
Auf das Personal bezogen hofft man, dass das Pflegepersonal sich entsprechend umverteilt und dem Angebot in den verbleibenden Krankenhäuser folgt. Was nach unserer Einschätzung ein Trugschluss ist. Pflegekräfte werden nicht 30-40 KM fahren oder umziehen, sondern eine solche Änderung zum Anlass nehmen, sich außerhalb der Pflege umzuorientieren
Fazit
die Personalsituation und damit die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheits- und Pflegeleistungen wird absehbar nicht besser!
Die grundsätzlichen Notwendigkeiten werden nicht angegangen:
- Aufhebung der Trennung ambulant-stationär,
- abgestimmte, verzahnte 24/7 Angebote in der Fläche;
- andere, steuerbasierte Finanzierung von wichtigen, aber versicherungsfremden Leistungen:
Bürgergeldempfänger (Delta -10Mrd)
Transformationsfond Krankenhausreform (Kosten 25Mrd) u.a. - Einführung des Kostendeckungsprinzip, finanziert durch eine
- Bürgerversicherung, wie in Holland, Frankreich, England (alle zahlen ein plus private Zusatzversicherung),
- Eine Pflegevollversicherung,
die eine bessere Bezahlung von Pflegekräften ermöglicht, ohne zu immer höheren Eigenanteilen zu führen
Das heißt
Das Pflegepersonal muss laut werden und sich aktiv einbringen – von allein passiert nichts. Vielmehr wird immer wieder -wie auch in der aktuellen Tarifrunde ÖD – von Arbeitgeberseite hoher Druck aufgebaut und wichtige finanzielle Regelungen, wie höhere Zuschläge für Nacht- oder Wochenendarbeit, bezahlte Pause in Wechselschichtbereichen u.a. verhindert.
Und auch alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich um „ihr“ Gesundheitssystem und pflegerische Versorgung interessieren und sich für Verbesserungen einsetzen – nicht erst wenn die eigene Betroffenheit entsteht.
Lasst es uns gemeinsam angehen!
Danke!